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Neues Erbrecht

Juni 2022
Ernst Staehelin


NEUES ERBRECHT

 

TAKE AWAYS

Erb- und Pflichtteile

Das neue Erbrecht ändert an den gesetzlichen Erbteilen nichts. Es hebt aber die Pflichtteilsansprüche der Eltern auf und reduziert diejenigen der Nachkommen auf ½ des gesetzlichen Erbanspruchs (bisher: ¾)

Nutzniessung

Das neue Erbrecht erlaubt gegenüber gemeinsamen Nachkommen die Einräumung einer Nutzniessung an 50% des Nachlasses zugunsten des überlebenden Ehegatten. Der frei verfügbare Teil beträgt neu 50% des Nachlasses (bisher 25%).

Verfügungen bei bestehendem Erbvertrag

Besteht ein Erbvertrag, darf der Erblasser weder Schenkungen unter Lebenden noch Verfügungen von Todes wegen vornehmen, wenn dies mit dem Erbvertrag unvereinbar ist und solche Schenkungen und Verfügungen von Todes wegen im Erbvertrag nicht vorbehalten waren.

Erbrecht und Scheidung

Bei einem hängigen Scheidungsverfahren auf gemeinsames Begehren oder nach zweijähriger Trennung entfällt der Pflichtteilsanspruch des Ehegatten (der gesetzliche Erbanspruch bleibt aber bestehen). Trotz allfälliger erbvertraglicher Bindung kann in dieser Konstellation der andere Ehegatte durch eine Verfügung von Todes wegen vom Erbrecht ausgeschlossen werden.

Nach rechtskräftiger Scheidung besteht grundsätzlich kein gegenseitiges Erbrecht mehr, es sei denn , die Verfügung von Todes wegen (Testament, Erbvertrag) sieht dies ausdrücklich vor.

 

1. Ausgangslage

Der Bundesrat hat die vom Parlament beschlossenen Änderungen zum Erbrecht auf den 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt.

Die Übergangsbestimmungen halten fest, dass bei einem Todesfall nach dem 31. Dezember 2022 ohne weiteres das neue Erbrecht  zur Anwendung kommt, und zwar auch dann, wenn vor dem 1. Januar 2023 Verfügungen von Todes wegen (d.h. Testamente oder Erbverträge) errichtet worden sind.

Je nach Formulierung in den Verfügungen von Todes wegen, die vor dem 1. Januar 2023 errichtet worden sind, kann Streit darüber entstehen, was der Erblasser / die Erblasserin gemeint hat, hätte er / sie gewusst, dass das neue Erbrecht kommt und welche neuen Regelungen es zulässt. Zur Vermeidung solcher Diskussionen ist es empfehlenswert, die Nachlassregelung insgesamt dahingehend zu überprüfen, ob und inwieweit das neue Erbrecht Gestaltungsmöglichkeiten bietet, die bisher nicht oder nicht im gleichen Umfang möglich waren, resp. um Unklarheiten in bestehenden Verfügungen von Todes wegen zu beseitigen.

Unverändert geblieben ist die gesetzliche Erbfolge, d.h. die Regeln, wer nach Gesetz Erbe ist und wer wie viel bekommt, wenn kein Testament oder Erbvertrag besteht.

Was hat sich aber geändert ? Diese Änderungen können in folgenden Themen zusammengefasst werden:

  • Pflichtteilsrecht (nachstehend Ziff. 2),
  • Nutzniessung (nachstehend Ziff. 3),
  • Schenkungen zu Lebzeiten und Verfügungen von Todes wegen bei bestehendem Erbvertrag (nachstehend Ziff. 4), und
  • Erbrecht im Scheidungsfall (nachstehend Ziff. 5).

Die nachstehenden Ausführungen stellen eine Übersicht der Änderungen dar und müssen auf die konkreten Umstände im Einzelfall angewandt werden; sie können nicht unbesehen übernommen werden.

2. Pflichtteilsrecht

Die bekannteste Änderung ist die Neuregelung der Pflichtteile. Der Pflichtteil entspricht einer Quote des gesetzlichen Erbteils und entspricht dem Minimum, das ein pflichtteilsgeschützter Erbe verlangen kann; der Pflichtteil kann nur unter sehr schweren Voraussetzungen entzogen werden («Enterbung»). Bisher hatten drei Gruppen einen solchen Pflichtteilsanspruch, nämlich die Eltern, die Nachkommen und der Ehegatte.

Das neue Erbrecht nimmt die folgenden Anpassungen vor:

  1. Die Eltern bleiben zwar gesetzliche Erben (wenn sie die nächsten Verwandten sind), der Pflichtteilsanspruch der Eltern wird aber ersatzlos aufgehoben, d.h. der Erblasser / die Erblasserin kann die Eltern (oder auch nur einen Elternteil) durch Verfügung von Todes wegen vom Nachlass komplett oder partiell ausschliessen (soweit ihnen überhaupt ein gesetzlicher Erbanspruch zusteht);
  2. Die Nachkommen haben bis Ende 2022 einen Pflichtteilanspruch von ¾ ihres gesetzlichen Erbanspruchs; neu beträgt dieser Pflichtteil ab 1. Januar 2023 noch ½, d.h. der verfügbare Teil des Nachlasses wird grösser;
  3. Unverändert bleibt der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten, nämlich ½ des gesetzlichen Erbanspruchs.

 

3. Nutzniessung

Das neue Erbrecht ändert grundsätzlich an der Möglichkeit der Einräumung einer Nutzniessung zugunsten des überlebenden Ehegatten nichts, legt aber die verfügbaren Quoten neu wie folgt fest:

  1. Die Nutzniessung zugunsten des überlebenden Ehegatten (die anstelle seines gesetzlichen Erbrechts tritt) kann gegenüber gemeinsamen Nachkommen bis zu auf 50 % des Nachlasses eingeräumt werden (die gemeinsamen Nachkommen sind Eigentümer, haben aber für diesen Anteil nur sog. «nacktes Eigentum»); und
  2. Der verfügbare Teil des Nachlasses beträgt die anderen 50 %, die z.B. dem überlebenden Ehegatten zu Eigentum übertragen werden können.

Hinweis: Im Fall der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten entfällt die Nutzniessung auf jenem Teil der Erbschaft, der im Todeszeitpunkt nach den ordentlichen Bestimmungen über den Pflichtteil den Nachkommen nicht hätte entzogen werden dürfen.

 

4. Schenkungen / Legate oder Erbeinsetzungen von Dritten bei bestehendem Erbvertrag

Hat ein Erblasser / eine Erblasserin zu Lebzeiten Schenkungen an (andere) Dritte vorgenommen oder z.B. in einem Testament einen (anderen) Dritten (auch) als Erben eingesetzt, obwohl er / sie sich in einem Erbvertrag gegenüber dem Vertragspartner verpflichtet hatte, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft (oder eine Quote davon) oder ein Vermächtnis auszurichten dann ist nach geltendem Recht eine Anfechtung nur unter strengen Voraussetzungen möglich (Grundsatz der «Verfügungsfreiheit»).

Das neue Erbrecht kehrt die Rechtslage um und unterstellt Schenkungen des Erblassers / der Erblasserin zu Lebzeiten, resp. Verfügungen von Todes wegen bei bestehendem Erbvertrag mit einem Dritten der Anfechtung (Grundsatz des «Verfügungsverbots»), es sei denn die beiden folgenden Elemente sind kumulativ gegeben:

  1. Die Schenkungen zu Lebzeiten (inkl. Erbvorbezüge vor dem 1. Januar 2023) und die Verfügungen von Todes wegen sind mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag vereinbar (d.h. im Erbvertrag wird z.B. nur eine Quote des Nachlasses zugesprochen, und die Schenkungen, resp. Verfügungen von Todes wegen vermindern diese Quote nicht); und
  2. Solche Schenkungen und Verfügungen von Todes wegen sind im Erbvertrag vorbehalten.

Mit andern Worten: damit der Erblasser / die Erblasserin (ganz oder in einem bestimmten Rahmen) frei ist, seinen Nachlass doch etwas anders zu regeln, als dies der Erbvertrag vorsieht, muss im Erbvertrag ein entsprechender Vorbehalt angebracht werden (resp. es muss der bestehende Erbvertrag entsprechend ergänzt werden). Solche Vorbehalte können sich auf Schenkungen und/oder Verfügungen von Todes wegen, z.B. auf Quoten  des Nachlasses oder auf Summen beziehen, oder vorsehen, dass der zweitversterbende Ehegatte frei ist, die für den Fall des zweitversterbenden Ehegatten vereinbarte Erbfolge einseitig abzuändern (oder Kombinationen dieser Möglichkeiten). Ohne solchen Vorbehalt sind die Schenkungen unter Lebenden, resp. die Verfügungen von Todes wegen anfechtbar. Diese Umkehr der Rechtslage gilt auch für Erbverträge, die vor dem 1. Januar 2023 abgeschlossen worden sind.

Hinweis: Die üblichen Gelegenheitsgeschenke sind unter altem wie neuem Erbrecht nicht anfechtbar.

 

5. Erbrecht im Scheidungsfall

Nach geltendem Recht haben geschiedene Ehegatten (d.h. nach Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils) kein gesetzliches Erbrecht mehr zueinander, und können aus Verfügungen von Todes wegen, die vor der Rechtshängigkeit eine Scheidungsverfahrens errichtet worden sind, keine Ansprüche erheben.

Das neue Erbrecht regelt die erbrechtlichen Ansprüche von Ehegatten während und nach der Scheidung nunmehr differenzierter:

  1. Geschiedene Ehegatten haben (wie bisher) zueinander kein gesetzliches Erbrecht, d.h. es muss eine Verfügung von Todes wegen errichtet werden, damit der geschiedene Ehegatte etwas erben kann. Ohne solche Verfügung von Todes wegen besteht kein Anspruch;
  2. Stirbt eine Ehegatte nach der rechtskräftigen Scheidung, so kann der überlebende Ehegatte keine Ansprüche aus einer Verfügung von Todes wegen geltend machen, es sei denn, diese Verfügung von Todes wegen (z.B. Ehe- und Erbvertrag, oder nur Erbvertrag oder Testament) sieht ausdrücklich vor, dass die Erbeinsetzung oder die Ausrichtung eines Vermächtnisses auch für den Fall einer erfolgten Scheidung gelten solle;
  3. Stirbt ein Ehegatte während des Scheidungsverfahrens, so entfallen Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen, wenn das Scheidungsverfahren zum Verlust des Pflichtteilanspruchs führt; letzteres ist der Fall, wenn das Scheidungsverfahren auf gemeinsames Begehren durchgeführt wird, oder wenn die Ehegatten mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben (und dies im Zeitpunkt des Todes, nicht im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens);
  4. ABER: es wird mit einem solchen Scheidungsverfahren nur das Pflichtteilsrecht aufgehoben; das gesetzliche Erbrecht bleibt bestehen, d.h. ohne Verfügung von Todes wegen des erstversterbenden Ehegatten erbt der andere Ehegatte trotz laufendem Scheidungsverfahren immer noch;
  5. ABER: In einer Verfügung von Todes wegen kann (wie unter lit. a) hiervor) angeordnet werden, dass Ansprüche aus der Verfügung von Todes wegen trotz hängigem Scheidungsverfahren immer noch gelten. Das kann auch einseitig durch ein Testament erfolgen.

Hinweis: Die vorstehenden Ausführungen zu Ehegatten und zur Scheidung gelten sinngemäss auch für die eingetragene Partnerschaft.

 

6. Handlungsbedarf

Aus verschiedenen Gründen kann im Hinblick auf das Neue Erbrecht Handlungsbedarf bestehen:

  • Einmal weil das Neue Erbrecht dem Erblasser / der Erblasserin eine grössere Verfügungsfreiheit einräumt (Wegfall des Pflichtteilsanspruchs der Eltern, resp. Verminderung des Pflichtteilsanspruchs der Nachkommen),
  • Zum andern weil die Nutzniessungsquote zugunsten des überlebenden Ehegatten vergrössert wurde,
  • Im Weiteren weil in den bestehenden Verfügungen von Todes wegen allenfalls Unklarheiten bestehen: soweit generell vom «Pflichtteil» (ohne Quoten) gesprochen wird, dürfte die Sache eher klar sein; wenn gestützt auf das alte Erbrechte Quoten (z.B. 3/8) erwähnt werden, die dem Pflichtteil des alten Erbrechts entsprechen, dann besteht Klärungsbedarf, ob bspw. diese Quote gemeint war, oder generell so wenig wie möglich;
  • Allenfalls besteht Anpassungsbedarf bei der Einräumung der Möglichkeit von Schenkungen oder der Errichtung von Verfügungen von Todes wegen trotz bestehendem Erbvertrag, und
  • Allenfalls besteht Anpassungsbedarf für den Fall eines Scheidungsverfahrens.

 

Gyr Gössi Olano Staehelin steht Ihnen gerne zur Seite, um einen allfälligen Handlungsbedarf abzuklären und gegebenenfalls die nötigen Schritte zur Anpassung durchzuführen.